PERRY RHODAN aus Sicht der DDR – Teil eins Eine Kolumne von Stefan Pannor über die Serienkritik aus ideologischer Sicht

3. Oktober 2023

Zentraler Schwerpunkt in dem PERRY RHODAN-Report 568, der in PERRY RHODAN-Band 3228 (»Die Nacht der Anuupi« von Michael Marcus Thurner) veröffentlicht wurde, war die ehemaligen DDR und ihr Bezug zur PERRY RHODAN-Serie. Der Autor und Redakteur Stefan Pannor informierte unter anderem über die ideologische Kritik aus der DDR an der Serie.

Diesen Beitrag dokumentieren wir sehr gern auch an dieser Stelle. Wegen seiner Länge kommt er als Kolumne in zwei Teilen.

 

Gegen die Hefte …

Das erste PERRY RHODAN-Heft erschien im September 1961, keine vier Wochen nach dem Mauerbau. In der DDR galten Science-Fiction-Heftromane aus dem Westen als kapitalistische Propaganda und durften nicht verkauft werden. Welches Bild vermittelten Presse und Fachliteratur der DDR über PERRY RHODAN und andere Science-Fiction-Hefte aus dem Westen? Und hatten die Journalisten und Wissenschaftler, die darüber schrieben, sie überhaupt gelesen?

»Ist es nicht verlockend, für 50 Pfennig mit einer Science-Fiction-Rakete der unbewältigten Gegenwart zu entfliehen und über tausend Lichtjahre hinweg von Stern zu Stern in ein abenteuerliches Weltraumparadies zu schießen?« – So fragte Rolf Seeliger, ein Münchner Schriftsteller, der vor allem politische Sachbücher veröffentlichte, in der Zeitschrift »Neue Deutsche Literatur« (NDL). Sein Beitrag »Vorsicht! Marsmensch!« erschien in der neunten Ausgabe des Jahres 1960, also genau ein Jahr vor dem Start der PERRY RHODAN-Serie.

NDL war vor allem eine Literaturzeitschrift, in der sich literarische Talente der DDR präsentieren konnten. Seeligers Artikel belegt, dass die NDL der Science Fiction nicht grundsätzlich abgeneigt war. »Denken wir nur … an die Zukunftsromane des polnischen Autors Stanislaw Lem«, der aus Sicht des Autors natürlich super ist, weil in seinen Büchern »der Kommunismus auf Erden Wirklichkeit geworden« sei. H. G. Wells’ Roman »Men Like Gods« (1923, dt.: Menschen, Göttern gleich) wird gelobt als das »ermutigendste Beispiel einer sozialen Utopie«.

Das Problem sind die verdammten Hefte! »Die Gefahr … liegt nicht nur darin, dass der Idiotismus völlig unwahrscheinlicher Fabeln mit einer Anhäufung von Massenanreizen die Phantasie der Jugendlichen grausam verbildet … Viel schlimmer ist, dass Verbrechen aller Art verherrlicht werden«. Man möge sich also bitte von solchen Heften fernhalten, die »den beklagenswerten Leser von Science-Fiction-Schundheften« nur verderben, ja nur verderben können!

In diese Richtung zielende Kritik an Heft-Science-Fiction ist nicht ungewöhnlich, sie fand in der Bundesrepublik ebenso statt. Ungewöhnlich ist, dass hier ein propagandistisches Organ der DDR Kritik übt an etwas, das in der höherliterarischen Zielgruppe des Magazins wohl kaum bekannt war. Der Text setzte gleichsam Tonfall und Gestus für die Auseinandersetzung mit westdeutscher Heft-SF in der DDR, ein Thema, das zwar nur am Rande in entsprechenden Publikationen vorkam, aber immerhin existierte. Nach 1961 diente dabei vor allem PERRY RHODAN als Zielscheibe ideologischer Kritik.

 

»Gift in bunten Heften«

Zu sehr ähnlichen Schlussfolgerungen wie Seeliger kamen die Autoren des 1966 im Berliner Dietz-Verlag erschienenen Buchs »Gift in bunten Heften«, in dem ein Kollektiv aus zehn Autoren das Angebot eines Münchner Zeitungskiosks in zwölf Artikeln unter die Lupe nahm: Zeitungen, Zeitschriften, Comics und eben Romanhefte.

Man muss annehmen, dass dieses Buch eine Weile im Giftschrank der DDR-Zensoren lag. Denn der Kiosk, der im Buch detailliert geschildert wird, wurde laut Text im Mai 1959 besucht, über ein Jahr vor Erscheinen von Seeligers Zeitschriftenbeitrag. 1959 war der Kiosk für DDR-Bürger noch erreichbar, 1966 praktisch nicht mehr.

Während besagtes Buch also zeitlich nach Seeligers Text erschien, entstand es mutmaßlich davor. Oder nahezu gleichzeitig. Die Autorin oder der Autor (Namen zu den Artikeln werden nicht genannt) benennt als Referenz die dreizehnte Ausgabe des deutschen »Galaxis« vom März 1959, ein nicht näher identifiziertes »Utopia«-Heft über ein Zeitschiff (möglicherweise »Die Zeitpatrouille« des späteren PERRY RHODAN-Autors W. W. Shols, erschienen im Mai 1959 als »Utopia« 175) sowie »Erlebnisse auf Sylva«, angeblich von einem gewissen R. R. Giordano.

Dabei verschweigt der Text, dass es sich bei letzterem nicht um einen Roman handelt, sondern um einen Comic des Walter-Lehning-Verlags, publiziert im Magazin »Meteor«, gezeichnet von Raoul und Robert Giordan. (Eine detailliert-naturalistische Serie, deren Niveau weit über gleichzeitig erscheinenden ähnlichen deutschen Produktionen lag und die vermutlich einigen Einfluss auf den zwei Jahre später gestarteten PERRY RHODAN hatte.)

Ausgehend von einigen Textbeispielen, die tatsächlich eher plumpen Stil und Denkungsart belegen, ist sich der ostdeutsche Autor oder die Autorin im Beitrag völlig sicher, dass diese und weitere Veröffentlichungen nur einem Zweck dienen: »Die Menschen in Westdeutschland sollen auch auf diese Art zu fügsamer Gleichgültigkeit gegenüber allem Geschehen gebracht werden.« Höhepunkt ist die selbst für hochideologisierte Kulturkritik des Ostens an den Westen im Kalten Krieg verblüffend radikale Schlussfolgerung, diese Hefte »übertreffen noch, was die Banditen der Hitlerschen SS in Buchenwald oder Auschwitz vollbrachten«.

Im Dezember 1970 kündigte die Zeitschrift »Sonntag« bereits auf dem Titelbild einen Artikel über das »Jugend-Idol Perry Rhodan« an. »Sonntag« war eine Kulturzeitschrift, die sich vor allem an Lehrer und Akademiker richtete. Das Blatt erschien wöchentlich und beschäftigte sich, in begrenztem Maß kritisch, vor allem mit den Produkten der DDR-Kulturindustrie. Zwei mehrseitige Artikel beschäftigen sich mit der PERRY RHODAN-Serie, umrahmt werden sie von einem kurzen Auszug aus dem Heft 454 »Plünderer der Sterne«, sowie einem kurzen Abriss der Fan- und Merchandisingkultur.

Interessant sind dort vor allem die Aussagen zum Leseverhalten: »Es werden pro Heft 5 Leser geschätzt«, also gab es in der fragwürdigen Rechnung des ungenannten Autors bei einer Gesamtauflage von 60 Millionen »300 Millionen PERRY RHODAN-Fans« – bei einer Bevölkerung der Bundesrepublik von 61 Millionen im Jahr 1970.