Kathleen Weise: Der vierte Mond Vielschichtiger Blick auf das 22. Jahrhundert

16. Juli 2021

Es ist ein Science-Fiction-Szenario, das einem erfahrenen Leser gut bekannt vorkommt: Zu Beginn des 22. Jahrhunderts hat sich die Menschheit im Solsystem bereits ausgebreitet. Der Mars ist eine Station für weitere Vorstöße, und die Menschen steuern die Monde des Jupiter an. Auf Monden und Planeten im Sonnensystem werden Stationen errichtet.

Auf Kallisto kommt es allerdings zur Katastrophe: Ein Schiff stürzt auf diesem Mond ab, und ein Raumfahrer bleibt allein in der improvisierten Station zurück …

So beginnt »Der vierte Mond«, der aktuelle Roman der in Leipzig lebenden Autorin Kathleen Weise. Die im Präsens gehaltene Geschichte benötigt zu Beginn eine erhöhte Aufmerksamkeit, weil so viele Figuren auf verschiedenen Schauplätzen eine Rolle spielen – es gibt immerhin ein Glossar im Anhang –, zieht dann aber an und ist am Ende richtig spannend. Was sich anfangs wie eine Expeditionsgeschichte liest, entwickelt sich zwischendurch zum Wirtschafts-Thriller und erhält am Ende noch eine tüchtige Prise »Sense Of Wonder«.

Mit der Science Fiction ist die Autorin bestens vertraut; zuletzt las ich von ihr »Wenn wir nach den Sternen greifen«, in dem es um eine Reise zum Mars geht, vor allem aber um die Reaktionen der Familienangehörigen, die zurückbleiben. In »Der vierte Mond« breitet sie vor den Lesern ein ganzes Spektrum an Figuren und Schauplätzen aus, die alle miteinander zusammenhängen.

Der Roman spielt auf dem Mond Kallisto, wo die Autorin von einem Mann erzählt, der in der Einsamkeit einer Station lange Zeit verbringen muss, während er auf eine mögliche Rettungsaktion von der Erde wartet. Ein weiterer Schauplatz ist eine Insel vor Guyana, wo die ehemaligen »Spaceworker« ihren Lebensabend verbringen. Sie träumen von ihren Reisen ins All, sie sind oft drogenabhängig und leben von einer geringen Rente. Der dritte Schauplatz ist Luxemburg, wo der Konzern residiert, der die Raumflüge bis zum Jupiter organisiert und finanziert.

Die Machtspiele innerhalb des Konzerns haben eine direkte Auswirkung auf die Verhältnisse in Guyana, aber auch auf den einsamen Raumfahrer, der auf Kallisto festsitzt. Wie die Figuren miteinander umgehen und welche Machtverhältnisse sich wie auswirken, das schildert die Autorin mit einem schönen Gespür für Personen und Charaktere. Das ist unterhaltsam und wird immer spannender – man möchte letztlich zu gern wissen, wie unheimliche Todesfälle auf der Erde mit seltsamem Verhalten auf Kallisto zusammenhängen …

Kathleen Weise ist keine Autorin, die »Hard-SF« bevorzugt. Ihr Augenmerk liegt nicht auf technischen Details – diese fehlen praktisch vollständig. Mit welchem Antrieb ein Raumschiff bis zum Jupiter fliegen kann, interessiert sie nicht unbedingt, wenngleich sie sich Gedanken über die Flugdauer und dergleichen gemacht hat. Die Raumschiffe in diesem Roman werden beschrieben, aber eher oberflächlich und nicht detailverliebt.

Das ist nicht das einzige Handlungselement, das Weise bewusst ignoriert: Wie es um die Weltpolitik steht und wie es beispielsweise mit dem Klimawandel weitergegangen ist, erfährt man auch nicht. Die Autorin hat sich klar für ihre Figuren und deren Verhältnisse entschieden, sie blendet bestimmte Themen aus – man kann bei einem Roman nie alle Facetten der Wirklichkeit abbilden.

Das macht Kathleen Weise geschickt. Die Figuren werden durch ihre Beschreibungen sehr lebendig, die Dialoge sind lebensnah. Ihre Schilderungen vom Überleben auf Kallisto wirken auf mich ebenso überzeugend wie die geschäftlichen Verhandlungen in Luxemburg oder die Probleme von ehemaligen Raumfahrern in Guyana. Man merkt eigentlich gar nicht, dass bestimmte Themen fehlen – sie sind für die Figuren offenbar auch nicht wichtig.

Somit ist »Der vierte Mond« ein Science-Fiction-Roman, der einen ungewöhnlichen Blick auf ein klassisches Thema wirft: weniger technisch, mehr menschlich. Wer sich nur für »Hard-SF« begeistern kann, sollte sicherheitshalber erst einmal die Leseprobe prüfen – sie steht auf der Internet-Seite des Verlages zur Verfügung. Wer aber gern Science Fiction mit einem sehr menschlichen Blickwinkel mag, kommt bei diesem Roman auf seine Kosten.

»Der vierte Mond« erschien als Paperback-Ausgabe im Heyne-Verlag; das 448 Seiten starke Buch kostet 14,99 Euro. Man kann es in allen Buchhandlungen bestellen, die ISBN 978-3-453-32082-6 ist dabei behilflich. Auch Online-Versender wie der PERRY RHODAN-OnlineShop führen den Roman, den es ebenso als E-Book für 11,99 Euro gibt.
Klaus N. Frick

Der vierte Mond
Weise, Kathleen
Heyne, Wilhelm Verlag
ISBN/EAN: 9783453320826
14,99 €
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Der vierte Mond
Weise, Kathleen
HEYNE
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